Die Auswirkungen des Brexit auf Online-Unternehmen -Teil 2

brexitDer Aufbau, die Systematik und die Auslegung des Handels- und Kooperationsabkommens

Im ersten Teil unserer Beitragsreihe zu den Auswirkungen des Brexit auf Online-Unternehmer, haben wir erfahren, dass der Partnerschaftsrat durch den Beschluss Nr. 1/2021 vom 23. Februar 2021 die vorläufige Anwendung des Handels- und Kooperationsabkommens bis zum 30. April 2021 verlängte.
Begründet wurde diese Verlängerung damit, dass man dem Europäischen Parlament mehr Zeit zur Überprüfung des Abkommens einräumt, bevor es über seine Zustimmung zu dem Abkommen abstimmt. Aus mehreren Gründen ist die Begründung nachvollziehbar. Das Abkommen umfasst 1449 Seiten und ist äußerst komplex aufgebaut.
Um die neuen Regelungen des Abkommens (in ersten Fachzeitschriften kurz „EUUKTCA“ genannt) schrittweise zu begreifen, hilft es zunächst dessen allgemeinen Aufbau, Systematik und Auslegungsregeln vor Augen zu führen.

Allgemeiner Aufbau und Systematik

Die EUUKTCA ist in sieben (Haupt-)Teile nebst Anhängen und drei Protokollen aufgeteilt. Die Teile sind wie folgt gegliedert:
•    TEIL EINS: Gemeinsame und institutionelle Bestimmungen
•    TEIL ZWEI: Handel, Verkehr, Fischerei und sonstige Regelungen
•    TEIL DREI: Zusammenarbeit im Bereich der Strafverfolgung und Justiz hinsichtlich Strafsachen
•    TEIL VIER: Thematische Zusammenarbeit
•    TEIL FÜNF: Teilnahme an Programmen der Union, Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung und Finanzbestimmungen
•    TEIL SECHS: Streitbeilegung und horizontale Bestimmungen
•    TEIL SIEBEN: Schlussbestimmungen
Anders als in üblichen deutschen und europäischen Gesetzestexten sind die Artikel dieser Teile nicht von Anfang bis Ende der EUUKTCA übergreifend durchnummeriert. Stattdessen sind die einzelnen Artikel mit einer dem jeweiligen Teil, Titel oder Kapitel sachbezogenen Kurzbezeichnung nebst Nummer kombiniert.
•    Artikel COMPROV.1
•    Artikel INST.1
•    Artikel GOODS.1
•    Artikel DIGIT.1
Auch erfolgt die Nummerierung nicht immer chronologisch. Dies lässt sich dadurch erklären, dass im Dezember 2020 aufgrund der Zeitnot bzgl. des auslaufenden Erstabkommens einige streitige Artikel wegfielen. Es war daher wohl nicht möglich, die Nummerierung vollkommen kohärent zu gestalten.
•    Nach „Artikel COMPROV.3“ folgt „Artikel COMPROV.13“.
Nach diesen (Haupt-)Teilen folgen 49 Anhänge, die jeweils thematisch Bezug auf gewisse Unterabschnitte der vorherigen Teile nehmen.
Zum Schluss endet das Abkommen mit den folgenden drei Protokollen:
•    Protokoll über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden und die Betrugsbekämpfung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer und über die Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf Steuern und Abgaben
•    Protokoll über gegenseitige Amtshilfe im Zollbereich
•    Protokoll über die Koordinierung der sozialen Sicherheit

Auslegung des Abkommens

Der Gesetzestext des Abkommens in Form der einzelnen Artikel ist im Einzelnen nicht immer eindeutig. Zur Auslegung dienen daher die Protokolle, Anhänge, Anlagen und Fußnoten des Abkommens. Sie sind Bestandteil des Abschnitts, des Kapitels, des Titels, der Überschrift oder des Protokolls, bezogen auf diesen Anhang (vgl. Artikel FINPROV.7 Abs. 1, 2).
Darüber hinaus gelten die Auslegungsregeln des Völkerrechts (Artikel COMPROV.13). Die einzelnen Zielbestimmungen des Abkommens können zur Auslegung herangezogen werden (z. B. Art GOODS.1, Art. DIGIT.1, Art. PROC.1).
Spannend ist die Regelung des Artikel COMPROV.13, wonach die Auslegung des Abkommens oder etwaiger Zusatzabkommen durch die Gerichte einer der Vertragsparteien für die Gerichte der anderen Vertragspartei nicht bindend ist.

Fazit

Das umfangreiche Abkommen folgt einer komplexen Systematik, die innerhalb der 1449 Seiten nicht immer klar und stringent umgesetzt wird. Jedenfalls reichen die obigen Ausführungen, um die ersten Ängste vor einer weiteren Durchsicht des Abkommens zu nehmen. Im nächsten Blogbeitrag dieser Reihe wagen wir einen ersten Blick auf die maßgeblichen Artikel für den digitalen Handel (Artikel DIGIT), die jeder Online-Unternehmer mit Verkehrsbeziehungen zu dem Vereinigten Königreich auf dem Schirm haben muss.

 Co-Autor: Wissenschaftlicher Mitarbeiter - Ref. jur. John Markus Maddaloni

Bildquelle: Bild von Pete Linforth auf Pixabay

Autor
Rechtsanwalt Marcus Dury LL.M. - Fachanwalt für IT-Recht
Rechtsanwalt Marcus Dury LL.M. - Fachanwalt für IT-Recht
Inhaber der Kanzlei - Fachanwalt IT-Recht
Rechtsanwalt Marcus Dury LL.M. ist auf die Beratung in Fragen des IT-Rechts spezialisiert und berät seit mehr als 15 Jahren fokussiert im Bereich des Gewerblichen Rechtsschutzes und den damit verbundenen Rechtsgebieten (Urheberrecht, Markenrecht und Wettbewerbsrecht). Als Fachanwalt für IT-Recht und Master of Law & Informatics sowie Unternehmer / Investor bringt er insgesamt mehr als 20 Jahre Beratungserfahrung in seine Mandate ein. Seine Beratungsschwerpunkte liegen im Bereich der IT-Vertragsberatung (Softwarelizenzbedingungen, IT-Projektverträge oder EVB-IT Verträge), der IT-Projektberatung und der Beratung im bei markenrechtlichen Konflikten sowie der Konsolidierung international ausgedehnter Markenportfolios.