Die Auswirkungen des Brexit auf Online-Unternehmen - Teil 1

brexit

Das neue Handels- und Kooperationsabkommen vom 31.12.2020 in Relation zum Austrittsabkommen vom 12.11.2019

Nachdem das Thema „Brexit“ in der deutschen Alltagspresse aufgrund gegenwärtig relevanterer Themen um Covid-19 an Bedeutung verloren hat, ist es dennoch für Online-Unternehmer nicht zu vernachlässigen. Insbesondere ist es für solche mit starkem Geschäft mit dem Vereinigten Königreich äußerst ratsam, die gegenwärtigen rechtlichen Entwicklungen im Blick zu haben.
Im Rahmen unseres ersten Beitrags der Reihe „Die Auswirkungen des Brexits auf Online-Unternehmen“ beleuchten wir fundamentale rechtliche Fragen:

Welches Recht findet Anwendung?

Zur Wahl stehen das Austrittsabkommen vom 12.11.2019, das Handels-und Kooperationsabkommen vom 31.12.2020 und – eventuell – gar kein Abkommen.

Das erste Brexit-Abkommen - Austrittsabkommen vom 12.11.2019

Mit dem Austrittsabkommen, das ab dem 01.02.2020 in Kraft trat, kam es nach langen und zähen Verhandlungen zum Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritanniens aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft.

Das Abkommen gemäß Art. 50 Abs. 2 EUV band als internationale Übereinkunft gemäß Art. 216 Abs. 2 AEUV die Organe der Union und die Mitgliedstaaten. Es stand damit im Rang zwischen dem Primär- und Sekundärrecht der EU.
Maßgeblich regelten die Parteien des Abkommens, dass das Vereinigte Königreich (inkl. Nordirland) zwar künftig keine EU-Mitgliedstaaten mehr sein sollten und somit als Drittstaaten zählen sollten, dennoch galt grundsätzlich gemäß Art. 127 Abs. 1 des Abkommens das EU-Recht dergestalt weiter, dass das Unionsrecht in den Austrittsländern weiter Anwendung finden sollte.

Erschwerend in der Praxis war die teilweise zeitliche Befristung des Abkommens. Vereinzelte Bereiche des Abkommens gelten nämlich zeitlich unbeschränkt und wirken heute noch, wohingegen der überwiegende Teil des Abkommens nur übergangsweise bis zum 31.12.2020 in Kraft war (vgl. Art. 126 des Austrittsabkommens). Eine Option zur Verlängerung des Geltungszeitraums bestand zwar mit Art. 132 des Abkommens, jedoch nahm Großbritannien - wie bereits frühzeitig angekündigt - diese Option aus vielerlei Gründen nicht wahr.

Das zweite Brexit-Abkommen - "Handels- und Kooperationsabkommen" vom 31.12.2020

In der Folge schlossen dieselben Parteien des ersten Abkommens das zweite Abkommen am 31.12.2020, namentlich das sogenannte "Handels- und Kooperationsabkommen". Dieses tritt zwar noch nicht in Kraft, es findet aber seit dem 01.01.2021 vorläufig Anwendung (vgl. Art. FINPROV.11 des Abkommens).
Rechtlich stellt dieses zweite Abkommen ein Assoziierungsabkommen i. S. d. Art. 217 AEUV dar, das gemäß Art. 216 Abs. 2 AEUV die Organe der Union und die Mitgliedstaaten bindet und auch im Rang zwischen Primärrecht und Sekundärrecht der EU steht.
Das Verhältnis dieses Abkommens zum ersten Austrittsabkommen ist im Einzelnen komplex. Grob gesagt löst jedoch das "Handels-und Kooperationsabkommen" das alte Austrittsabkommen vom 12.11.2019 ab. Im Einzelfall finden nur noch die zeitlich unbegrenzt geltende Regelungen des Austrittsabkommens Anwendung.
Der Grundsatz aus Art. 127 des ersten Abkommens, das das Unionsrecht in den Austrittsländern weitergelte, besteht nicht mehr.

Vielmehr errichtet das "Handels-und Kooperationsabkommen" ein komplexes Rechtsregime, von dem wir in den nachfolgenden Blogbeiträgen die für DURY LEGAL relevanten Aspekte, insbesondere das Datenschutzrecht und das Markenrecht, näher beleuchten werden.

Kein Inkrafttreten, sondern nur vorläufige Anwendung

Das "Handels- und Kooperationsabkommen" wurde nach Art. 218 Abs. 5 AEUV nur vorläufig erlassen. Es bedarf für sein Inkrafttreten noch der förmlichen Zustimmung des Europäischen Parlaments. Gemäß Art. FINPROV.11 Abs. 2 des Abkommens soll die vorläufige Anwendung an einem der folgenden Zeitpunkte, je nachdem, welcher Zeitpunkt früher liegt enden:

Entweder am 28. Februar 2021 oder an einem anderen vom Partnerschaftsrat festgelegten Datum oder am Tag der Zustimmung durch das Europäische Parlament.

Sollte das Europäische Parlament zustimmen, würde die vorläufige Anwendung enden und das Abkommen nach Art. FINPROV.11 Abs. 1 in Kraft treten.

Nach der Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 10.02.2021 schlug diese vor, die vorläufige Anwendung des Abkommens bis zum 30.04.2021 zu verlängern. Das Europäische Parlament benötige diese Zeit, um das Abkommen noch hinreichend zu analysieren, bevor es seine Zustimmung geben könne.

Diesem Vorschlag der Kommission haben die Mitgliedstaaten und das Vereinigte Königreich auch zugestimmt, sodass die vorläufige Anwendung entsprechend bis zum 30.04.2021 verlängert wurde.

Ausblick

Das gegenwärtig anwendbare Handels- und Kooperationsabkommen dient als Basisabkommen und weitere Abkommen konkretisieren und ergänzen dieses. Problematisch ist jedoch das Ende der vorläufigen Anwendung des Handels- und Kooperationsabkommens zum 30.04.2021. Es bleibt abzuwarten, wie sich das Europäische Parlament dazu positionieren wird. Würde das EU-Parlament seine Zustimmung verweigern, müssten die Handelsbeziehungen sich auf der Basis der WTO (Welthandelsorganisation) und der dauerhaften Vereinbarungen des Austrittsabkommen aus dem Jahr 2019 bewegen. Welche Auswirkungen dies auf das Good-Friday-Agreement bzgl. Nordirland haben würde, ist vollkommen unklar. Klar ist, dass es sich um ein politisches Erdbeben handeln würde, mit ungeahnten rechtlichen Folgen.

In der Hoffnung, dass das Europäische Parlament seine Zustimmung zum Inkrafttreten des Abkommens geben wird, stellen wir in den kommenden Wochen sukzessive das Abkommen in weiteren Blogbeiträgen vor. Dabei gehen wir auf relevante Passagen für die von DURY LEGAL vertretenen Unternehmen ein, die zahlreiche geschäftliche Beziehungen zur unseren brittischen Freunden unterhalten..

 Co-Autor: Wissenschaftlicher Mitarbeiter - Ref. jur. John Markus Maddaloni

Bildquelle: Bild von Pete Linforth auf Pixabay