Das Verwaltungsgericht Wiesbaden hat mit Urteil vom 17.01.2022 (Az. 6 K 784/21.WI) entschieden, dass es nicht möglich ist, unter Berufung auf Informationsfreiheitsrechte gem. den Informationsfreiheitsgesetzen, die Einsichtnahme oder gar die Herausgabe des Quelltextes von Behördensoftware zu verlangen.
Eine entsprechende Klage eines Bürgers vor dem VG Wiesbaden, der sich auf seine Informationsfreiheitsrechte berief, wurde nun abgewiesen.
DURY LEGAL war als Prozessvertreter in das Verfahren federführend involviert. Berater in dem Verfahren waren Rechtsanwalt Michael Pfeiffer (Fachanwalt für IT-Recht), Diplomjurist Benjamin Schmidt (Datenschutzbeauftragter TÜV Rheinland) sowie Rechtsanwalt Marcus Dury LL.M. (Fachanwalt für IT-Recht, Master of Legal Informatics).
Das Gericht führt in dem Urteil aus:
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Auskunft über den Quellcode sämtlicher im [...]portal des Beklagten vorhandenen Anwendungen [...], sodass er durch die Ablehnung seines Begehrens auch nicht in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 5 VwGO). Andere Anspruchsgrundlagen, die der Kläger in seinem über FragdenStaat.de gestellten Antrag geltend machte, sind fernliegend und wurden im Rahmen der Klage auch nicht weiterverfolgt.- Bei dem Quellcode handelt es sich indes nicht um eine amtliche Information im Sinne des [...] und damit nicht um einen tauglichen Anspruchsgegenstand.
- Die Abfassung des Quellcodes in einer Programmiersprache stellt eine Aufzeichnung dar. Sie vermittelt zugleich Wissen über den Programmablauf und ist damit eine Information. Insoweit mag der Quellcode eine Aufzeichnung [...] sein.
Die Aufzeichnung von Quellcode dient allerdings nicht amtlichen Zwecken. Diese Finalität ist aber nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erforderlich, um von einer amtlichen Information auszugehen (BVerwG, Urt. v. 28.10.2021 – 10 C 3.20 –juris Rn. 15). Der Grund liegt darin, dass die mit der durch das Informationsfreiheitsrecht verfolgten Verbesserung der Kontrolle von Verwaltungshandeln durch die Bürger es nicht erforderlich macht, außerhalb des Verwaltungshandelns liegende Bereiche in den Anwendungsbereich des Gesetzes einzubeziehen.
Die Aufzeichnung von Quellcode durch den Programmierer ist ein notwendiger Arbeitsschritt bei der Erstellung eines Programms. Selbst wenn der Programmierer hierbei Mitarbeiter des Beklagten [...] ist, übt er hierbei keine Hoheitsgewalt aus, sondern handelt letztlich fiskalisch. Der Besitz der Aufzeichnung des Quellcodes ist für die staatliche Aufgabenerfüllung, selbst für die Arbeit mit einem hierauf beruhenden Programm, nicht erforderlich. So verfügt [der Beklagte] nicht über den Quellcode des Betriebssystems Windows, obwohl seine Mitarbeiter-IT ganz wesentlich auf diesem Produkt aufbaut. Die Information ist, mit anderen Worten, für Verwaltungshandeln nicht erforderlich, ebensowenig, wie Angaben über die Beschaffenheit von Kugelschreibern, Zimmertüren oder Dienstwagenkarosserien eine amtliche Information sind (VG Darmstadt, Urteil vom 08. Mai 2019 – 3 K 1708/17.DA –, juris Rn. 40). Demnach ist der Zweck der Aufzeichnung auch kein amtlicher Zweck.- Das Gericht verkennt nicht, dass die Beschaffung mangelhaften Materials gegebenenfalls Gegenstand eines öffentlichen Informationsinteresses ist und mittelbar auch einen Auskunftsanspruch begründen könnte. Würde der Beklagte ein Gutachten über Mängel einer beschafften Software oder die Einhaltung von IT-Sicherheitsstandards erstellen, fiele dieses Gutachten selbstverständlich unter den Begriff der amtlichen Information, weil der Zweck der Gutachtenerstellung ein amtlicher (haushalterischer) Zweck ist. Das [Informationsfreiheitsgesetz] verfolgt aber nicht den Zweck, die Bürger an die Stelle der Verwaltung zu setzen und die Qualität des Arbeitsmaterials von sich aus zu überprüfen, mithin die amtlichen Informationen erst zu generieren.
Diesem Verständnis folgt auch das Bundesverwaltungsgericht, wenn es für die Finalität der Aufzeichnung wesentlich auf die Frage der Aktenwürdigkeit abstellt (BVerwG, Urt. v. 28.10.2021 – 10 C 3.20 – juris Rn. 15ff).
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Zulassung der Berufung muss beantragt werden.
Wir werden in den kommenden Tagen an dieser Stelle den anonymisierten Volltext des Urteils des VG Wiesbaden vom 17.01.2022 (Az. 6 K 784/21.WI) veröffentlichen und über den Fortgang der Angelegenheit berichten.
Auch wenn DURY LEGAL ein großer Freund von Open Source Software ist, so wäre es wünschenswert, wenn sich die Ansicht des Verwaltungsgerichts Wiesbaden durchsetzt. Sähe man Quelltext nämlich generell als amtliche Information an, dann könnte jeder i.S.d. Informationsfreiheitsgesetze aus Closed Source Quellcode de facto ein Open Source Projekt machen. Letztlich wäre es dann unvermeidbar, dass der beauskunftete Quelltext dann - über ggf. verschlungene Wege - online gestellt werden würde.
Wenn die Softwarelösung aber überhaupt nicht als OpenSource-Projekt konzipiert wurde, würden entsprechende Offenbarungspflichten die öffentliche Verwaltung vor unerfüllbare Aufgaben stellen, ggf. auch noch Jahre nach Abschluss eines IT-Projekts die seinerzeit erstellten Quellcodes im Nachgang auf Bereichsausnahmen, wie z.B. Belange der IT-Sicherheit, oder entgegenstehende Rechte Dritter, zu überprüfen. Wie dies in der Praxis mit vertretbarem Aufwand möglich sein soll, ist vollkommen unklar.
Dies hat auch das VG Wiesbaden so gesehen, wenn es ausführt, dass bei Quellcode immer ein unverhältnismäßiger Aufwand der Behörden zu erwarten ist, wenn die Behörde prüft, ob ein Antrag ggf. wg. entgegenstehender Gründe der IT-Sicherheit oder aufgrund von Gefahren für die öffentliche Ordnung abzulehnen ist. Das VG Wiesbaden geht davon aus, dass eine Trennung eines nicht IT-sicherheitssensiblen Teils des Quellcodes von einem zu schützenden Teil des Quellcodes immer eine umfassende gutachterliche Prüfung des Quellcodes erfordert, bei der immer die Suche nach Sicherheitslücken im Fokus stehen dürfte. Da das Sachwissen bei Behörden mit Blick auf die unattraktiven Arbeitsbedingungen und Verdienstmöglichkeiten für IT-Experten im öffentlichen Dienst in aller Regel nicht vorhanden sei, wäre zur Erfüllung von Informationsansprüchen wohl immer eine kosten- und zeitintensive Begutachtungen durch Externe erforderlich.
Wenn man Quellcode als "amtliche Information" i.S.d. der Informationsfreiheitsgesetze wertet, müssten derartige Klagen dann also zumindest immer an der Unzumutbarkeit des notwendigen Aufwandes scheitern.
Es ist erfreulich, dass das VG Wiesbaden den Argumenten von DURY LEGAL, insbesondere auch denjenigen in der mündlichen Verhandlung am 17.01.2022, in allen wesentlichen Punkten gefolgt ist.
Falls Sie als Behörde ebenfalls mit vergleichbaren Auskunftsersuchen konfrontiert sein sollten, melden Sie sich einfach bei DURY LEGAL unter +49 681 94005430 oder schreiben Sie uns eine Mail an